A Model World
A Model World: Das Klima reparieren mit technologischen Visionen
by Julia Kaganskiy

i. Einführung

Nur wenige Gedanken haben in den letzten 20 Jahren unser Nachdenken über die Umwelt so stark (oder auch kontrovers) geprägt wie das Konzept des Anthropozän. Es wurde im Jahr 2000 von dem Atmosphärenchemiker Paul Crutzen und dem Biologen Eugene Stoermer eingeführt (1)Paul Crutzen and Eugene Stoermer, The Anthropocene, Global Change Newsletter 42 (2000), 17-18. und besagt, dass wir uns in einer neuen geologischen Epoche befinden, in der menschliches Handeln zu einer wesentlichen geophysischen Kraft geworden ist, die tiefgreifende und anhaltende Veränderungen in den Systemen der Erde verursachen kann. Heute ist der Begriff weit verbreitet, aber noch immer hochumstritten. Es gibt noch keinen wissenschaftlichen Konsens über die genaue Definition des Anthropozäns in geologischer Hinsicht, außerdem kann sein genauer Beginn nicht festgelegt werden. Die Detonation der ersten Atombombe, der Beginn der industriellen Revolution und die Ankunft der Europäer:innen auf dem amerikanischen Kontinent sind als Anfangspunkte im Gespräch – jeweils mit impliziten Folgen ihrer ganz eigenen militärischen, kapitalistischen und kolonialen Absichten, die zu einer radikalen Umorganisation und Zerstörung des Lebens auf der Erde beigetragen haben. Kritiker:innen der Etymologie des Begriffs stört dabei, dass „Anthropos“ hier ein universales menschliches Subjekt suggeriert und damit die unterschiedlichen Grade der Schuld am Klimawandel nivelliert und verschleiert. So werden die historischen und fortdauernden Machtungleichheiten und die Extraktions- und Ausbeutungssysteme, die sie ermöglichen, vertuscht (2)See: Haraway, 2016; Chakrabarty, 2009; Yusoff, 2018; Klein, 2015; Demos, 2016. Andere weisen darauf hin, dass der Begriff anthropozentrisch und narzisstisch ist und genau die Vorstellungen der menschlichen Einzigartigkeit und Herrschaft über die Natur fortsetzt, die extraktivistische Haltungen überhaupt erst entstehen ließen (3)See: Haraway, 2016; Barad, 2007; Tsing, 2017; Demos, 2016; Bennet, 2010.

Jenseits dieser ungelösten Debatten ist jedoch der Gedanke, dass der Klimawandel ein menschengemachtes Problem ist, inzwischen weitgehend als Tatsache anerkannt, auch bei denjenigen, die dafür plädieren, genauer zu bestimmen, um welche Menschen es dabei geht. Dabei sind zwei Hauptdenkweisen entstanden: Die eine ruft zu einer Ablehnung von modernistischen Idealen und den dazugehörigen Bemühungen auf, die Natur zu steuern, und tritt für größere Bescheidenheit ein und die Erkenntnis, dass die Menschheit Teil eines komplexen, voneinander abhängigen Netzwerks lebender Organismen ist, und nicht unabhängig davon existiert. Und die andere sieht den Klimawandel als eine Herausforderung, die es zu überwinden gilt, als ein Problem, das mit Fleiß, Erfindungsgabe und technologischem Können gelöst werden muss. Kurz nachdem er die Anthropozän-These veröffentlicht hatte, dachte Crutzen über ihre Folgen nach: „Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen sind mit der gewaltigen Aufgabe konfrontiert, die Gesellschaft während des Zeitalters des Anthropozäns in Richtung ökologisch nachhaltigen Wirtschaftens zu lenken. Dafür wird auf allen Ebenen angemessenes menschliches Verhalten nötig sein und das kann sehr wohl auch international anerkannte, groß angelegte Geoengineering-Projekte beinhalten, zum Beispiel zur ‚Optimierung des Klimas‘.“ 2006 ließ Crutzen seiner eigenen Einschätzung einen Vorschlag für ein Geoengineering-Projekt folgen: Er schlug eine „Stärkung des Rückstrahlvermögens durch stratosphärische Schwefelinjektionen (Albedo Enhancement by Stratospheric Sulfur Injections) vor. Dieser Plan zur „Optimierung des Klimas“ sah vor, Schwefelpartikel in die Stratosphäre zu sprühen und so eine Art Sonnenschutzschirm zu generieren, der die Sonnenstrahlen zum Teil blockieren und so die Temperaturen zeitweise senken sollte. Crutzens Artikel und sein Ansehen in Wissenschaftskreisen als Nobelpreisträger trugen zur Beschleunigung der heutigen Welle von Forschungsvorhaben und Debatten um das Thema Geoengineering bei.

Der Begriff “Geoengineering” wird derzeit zunehmend kritisch betrachtet, da er zu unspezifisch ist und ein breites Spektrum von Ansätzen mit ganz unterschiedlichen Risiken und potentiellen Auswirkungen in einen Topf wirft. Da er aber noch immer weit verbreitet ist, lohnt es sich, ihn näher zu definieren. Als Geoengineering bezeichnet man eine Art technischer Verfahren, mithilfe derer absichtlich in die Klimasysteme der Erde eingegriffen wird, um die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu bewältigen. In der Regel werden diese Verfahren in zwei Kategorien aufgeteilt: Unter den Begriff Kohlendioxidentfernung fallen sowohl natürliche als auch technologische Strategien zur Reduktion der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Solar-Geoengineering oder Sonnenstrahlung-Management versucht, unseren Planeten abzukühlen, indem die Menge an Sonnenlicht, die er absorbiert, reguliert wird. Befürworter:innen des Geoengineering räumen in der Regel ein, dass die Reduktion von Treibhausgas-Emissionen und weitere Minderungsmaßnahmen oberste Priorität haben sollten. Sie tendieren aber zu einer eher pessimistischen Einschätzung, ob diese präventiven Maßnahmen noch rechtzeitig umgesetzt werden können, um signifikante Wirkung zu haben (und diese Einschätzung wird leider durch das Ausbleiben transformativer und bindender globaler Vereinbarungen zur Klimapolitik bestätigt). Stattdessen setzen sich Geoingenieure für die Entwicklung technischer Lösungen ein, die eine Art „Fluchtweg“ aus manchen verhängnisvollen Auswirkungen des rapiden Klimawandels darstellen könnten – eine Methode, das Klima handzuhaben und zu kontrollieren. 

Representation of various geoengineering methods. Source: University of Leeds.

Aber was bedeutet Klimakontrolle auf globaler Ebene? Es ist schließlich nicht so einfach, wie einen Thermostaten neu einzustellen. Das Erdklima setzt sich aus unterschiedlichen regionalen Klimazonen zusammen – vom tropischen Regenwald bis zu den polaren Eiskappen und allem, was dazwischen liegt – die jeweils eigene Biosphären und Witterungsverläufe haben und die kumuliert das globale Klimasystem darstellen. Wenn wir vom Klima reden, wie es im Buche steht, dann reden wir über komplexe, interaktive Strömungen von Energie und Molekülen, die zwischen Meeren, Land, Eis und Atmosphäre zirkulieren. Eine maßgebliche Veränderung an einem Ort in der Welt, wie zum Beispiel ein Vulkanausbruch oder ein großflächiger Waldbrand, kann zu einer Kettenreaktion mit Auswirkungen für den ganzen Planeten führen. Das bedeutet, dass absichtliche Klimamodifizierung jeglicher Art unausweichlich ein globales Geschehen darstellen würde. Dies wirft Fragen von Regierungsgewalt und Macht auf: Wer sollte das Recht haben, das Klima zu modifizieren? Wer darf entscheiden, welche Bedingungen mit einer solchen „Optimierung“ angestrebt werden sollen? Wer trägt die Verantwortung für nicht-beabsichtigte Folgen? Und wenn wir einmal anfangen, das Klima zu modifizieren, wie hören wir dann wieder auf?

Man könnte sagen, dass der Mensch das Klima schon immer unbeabsichtigt modifiziert und wir also auch genauso gut das Steuer in die Hand nehmen können. Wer diese Position vertritt, scheint es für einfacher zu halten, die Systeme des Erdklimas zu regulieren als die menschlichen Handlungen, die zur Störung dieser Systeme geführt haben. Viele Wissenschaftler:innen warnen jedoch, dass wir die Umweltsysteme noch nicht ausreichend verstanden haben, um die Probleme einfach mithilfe von Technologie beheben zu können. Sie erklären, dass die potentiellen Risiken zu groß sind, um Maßnahmen wie Geoengineering verantwortungsvoll auszuprobieren. Andere sind der Ansicht, dass das Geoengineering eine „moralische Gefahr“ darstellt, weil es die politische und soziale Notwendigkeit der Begrenzung von fossilen Brennstoffemissionen reduziert. Ungeachtet dieser Bedenken stoßen verschiedenste Methoden der Klimaintervention zunehmend auf Interesse und erhalten Förderung von Regierungen, Privatinvestoren und der akademischen Welt. Zudem fassen sie in der Politik Fuß, vor allem in ölreichen Ländern wie den Vereinigten Staaten und Saudi Arabien. Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen der Vereinten Nationen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) bezieht seit 2018 Klimainterventionen wie groß angelegte Maßnahmen zur Kohlendioxidentfernung in seine Modellberechnungen ein, mit der Anmerkung, dass die Emissionsreduktion allein nicht mehr ausreichen wird, eine Erderwärmung von weniger als 1,5°C zu erreichen. Sogar das radikalere und riskantere  Sonnen-Geoengineering wird von manchen als unvermeidlich“ angepriesen. Wie kam es, dass Geoengineering uns heute als letzte und beste Rettung erscheint?

Im November 2021 versammelten sich Delegierte aus über 200 Nationen in Glasgow zum COP26, der jährlichen Klimawandelkonferenz der Vereinten Nationen, um eine Bilanz der Erfolge und Misserfolge des bahnbrechenden Pariser Klimaabkommens von 2015 zu ziehen. Nach zweiwöchigen Beratungen setzte das Komitee neue Emissionsziele, die die Welt vor der drohenden Katastrophe bewahren sollen. Allerdings werden nach eigenen Schätzungen der UN die kurzfristigen Verpflichtungen, die die Nationen in Glasgow eingegangen sind, zu einer Erderwärmung bis 2100 um 2,7°C führen, was das weltweit geteilte Ziel einer Erwärmung um 1,5°C um 1,2°C überschreiten würde. Wenn alle Zusagen, die Emissionen bis 2030 auf „netto-null“ zu reduzieren, eingehalten werden, sinken diese Prognosen auf 2,4°C. Das ist weit entfernt von den Resultaten, die nötig sind, um auf diesem Planeten die für menschliches Leben notwendigen Bedingungen zu gewährleisten. 

Das anhaltende Versäumnis der Politik, Volkswirtschaften zu entkarbonisieren, hat zu einer Situation mit irreversiblen Konsequenzen geführt, die sich jedes Jahr verschärft. Zum Teil wurde dieser Handlungsaufschub durch den Glauben ermöglicht, dass irgendeine zukünftige „bahnbrechende Innovation“ auftauchen und die Welt retten würde. Die Verantwortlichen können sich offensichtlich eine überdimensionierte Lösung in letzter Sekunde eher vorstellen als eine Welt ohne fossile Brennstoffe. Diese Einstellung lässt es zunehmend wahrscheinlich werden, dass im Laufe des 21. Jahrhunderts irgendeine Art von technisch vermittelter Klimaintervention eingesetzt werden muss, um die Erdtemperatur zu senken und die schlimmsten Folgen zu verhindern. Heute ist das Geoengineering noch weitgehend hypothetisch. Die Umweltsoziologin Holly Jean Buck stellt jedoch fest: „Es ist unwahrscheinlich, dass dieses Thema verschwindet, bis entweder ernsthafte Anstrengung zur Schadensminderung unternommen werden, oder das Konzept des Geoengineerings durch etwas Besseres ersetzt wird. Solange der Klimawandel sich verschlimmert, wird dieses Schreckgespenst im Raum stehen.”(4)Holly Jean Buck, After Geoengineering: Climate Tragedy, Repair, and Restoration (London: Verso Press, 2019), p. 25.

Ungeachtet seiner scheinbaren “Unausweichlichkeit” bleibt das Geoengineering ein relativ obskures Thema. Es begegnet uns zumeist in Science Fiction und wissenschaftlicher Literatur und wird von der Öffentlichkeit weitgehend nicht zur Kenntnis genommen oder hinterfragt. Eine Studie zur öffentlichen Wahrnehmung des Klimaengineering in den USA, Großbritannien, Australien und Neuseeland aus dem Jahr 2018 ergab, dass weniger als ein Fünftel der Befragten über Vorwissen zu dem Thema verfügten und dass sie sich allgemein negativ äußerten, nachdem sie Informationen erhalten hatten. Unser Interesse an diesem Thema wurde zum Teil durch populärwissenschaftliche Bücher der letzten Zeit geweckt, so zum Beispiel Holly Jean Bucks After Geoengineering, Oliver Mortons The Planet Remade und Elizabeth Kolberts Under a White Sky. Außerdem beobachteten wir, dass sich Künstler:innen allmählich auf dieses Feld vorwagen: Sie erforschen die Geschichte menschengemachter Klimainterventionen (Karolina Sobecka, James Bridle, Fragmentin), problematisieren Ansätze technologiegestützten Umweltmanagements (Tega Brain, Tue Greenfort, Andreas Grenier), untersuchen die materielle Wiederherstellung der Atmosphäre (Sean Raspet, Julian Charriére, Katrin Hornek) und werfen ethisch motivierte Fragen danach auf, wer letztendlich von diesen Interventionen profitiert. 

Wie der Kunsthistoriker T.J. Demos feststellt, scheint die Anthropozän-These „scheinbar die Notwendigkeit des Geo-Engineerings“ nahezulegen (5)T.J. Demos, Against the Anthropocene: Visual Culture and Environment Today (Berlin: Sternberg Press, 2017), p. 25.. Daher lohnt es sich, darüber nachzudenken, wie es dazu gekommen ist und wie spezifische Formen von Repräsentation,  Wissensproduktion, Macht und Wunsch die Vorstellung, das Klima steuern zu können nicht nur denkbar, sondern (für wenige, privilegierte Menschen) sogar greifbar machen.

Wie der Historiker James Fleming in „Fixing the Sky“ darlegt, findet sich die Geschichte des Geoengineering in einer langen Tradition religiöser Rituale, Volksmythen und wissenschaftlicher Aktivitäten wieder, die der „Herrschaft“ über die Natur dienen sollen (6). Schon seit Urzeiten bauen Menschen Behausungen, kultivieren Nutzpflanzen und richten ihren Blick nach oben, um himmlische Phänomene vorauszusehen. Aber erst seit den 1950er-Jahren, mit der Ankunft digitaler Berechnungen und einfacher Klimamodellierung, schien es tatsächlich möglich, das Wetter und das Klima im Allgemeinen zu steuern. Computergesteuertes Modellieren gab den Menschen die Instrumente, anhand derer sie das globale Klima als „Hyperobjekt“ begreifen konnten – als ein geologisches Phänomen, das über den Rahmen des menschlichen Sensoriums hinausgeht und sich über räumliche und zeitliche Horizonte erstreckt, die jenseits menschlicher Erfahrung und Fassungsvermögen liegen. Nur mithilfe dieser „riesigen Maschine“ aus wissenschaftlichen Instrumenten, Sensoren, Satellitenbildern, Datenvisualisierung und Computersimulationen können wir das Klima, und damit den Klimawandel, überhaupt begreifen. (7) Diese Instrumente, die in einem militärisch-industriellen Kontext entstanden, bei dem es um Möglichkeiten für Vorhersage und Kontrolle ging, vermitteln uns das Gefühl von Verständnis Transparenz und Handlungsmacht in unserer Beziehung zur Umwelt. Sogar die visuelle Darstellung der Erde, die in diesem System produziert wird und algorithmisch aus Daten zusammengesetzt ist, die von Fernerkundungssatelliten aus der Erdumlaufbahn erhoben werden, verstärkt den Eindruck, dass unser Planet ein Objekt ist, das man betrachten, studieren, vermessen und manipulieren kann.

In unserem Forschungsvorhaben wollten wir die jüngsten Diskurse zum Geoengineering erkunden, ebenso wie die Logik, Ästhetik und Überzeugungen, von denen sie geprägt sind. Als Kuratorinnen interessieren wir uns für die Rolle, die die Kunst dabei spielen kann, sie einerseits zum Leben zu erwecken und andererseits die Nuancen und Komplexitäten der kritischen politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und moralischen  Konsequenzen herauszuarbeiten. Mithilfe eines Recherche-Stipendiums von Medienwerk NRW konnten wir im Rahmen der ersten Ausgabe des Künstler-Residenzprogramms des Festivals NEW NOW im September 2021 einen einmonatigen Forschungsaufenthalt auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein in Essen absolvieren. Das Stipendium und die Residenz ermöglichten uns die tiefergehende Beschäftigung mit den wissenschaftlichen Grundlagen des Geoengineering und des kritischen Diskurses zu diesem Thema. Außerdem konnten wir Interviews mit Wissenschaftler:innen, Forscher:innen, Künstler:innen und Kurator:innen führen, deren Arbeit Berührungspunkte mit diesem Thema hat. Unsere Residenz fand in Nordrhein-Westfalen statt, im Ruhrgebiet, einer ehemaligen Industrieregion, die früher als „das Land von Kohle und Stahl“ bekannt war. Diese Region wurde über 150 Jahre durch den Bergbau geprägt und befindet sich heute mitten in einer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Transformation. Der ehrgeizige Plan für diesen Wandel erfordert Investitionen in Innovationen: KI-Forschungsparks, Wasserstoffproduktionszentren, Quantencomputer, Forschung zu neuen Materialien und Biotechnologie. Die rostigen Zechen und Kokereien dagegen werden zu öffentlichen Parks und Kulturzentren „renaturiert“. Es erschien uns als der ideale Ort, von dem aus wir es mit dem Erbe des Modernismus aufnehmen konnten – der Mission, die Welt nach dem Abbild unseres Ideals umzugestalten – und darüber nachzudenken, was wir von den Gespenstern dieser Bemühungen lernen können.

Das folgende Essay ist ein Auszug aus unserer laufenden Arbeit. Es setzt sich eingehend mit vier künstlerischen Arbeiten auseinander, die sich jeweils mit einer bestimmten Facette des Geoengineering beschäftigen und unterschiedliche Rahmen bieten, die sowohl die Praktiken des Geoengineering als auch die spezifischen Weltbilder, von denen sie angetrieben werden, begreifbar machen. Wir hoffen, dass wir aus dieser Recherche eine Ausstellung oder ein öffentliches Programm entwickeln können und dieses Essay ist ein erster Versuch, einige der potentiellen strukturierenden Themen und Ansätze zu umreißen. Auf der Website sind im übrigen Dokumentationen ortsspezifischer Feldforschungen zusammengestellt, die während unseres Aufenthalts in Essen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurden sowie eine Galerie weiterer Arbeiten von Künstler:innen und Designer:innen, die sich mit Geoengineering befassen oder verwandte Themen des Modellierens und der Modifikation des Klimas berühren. Diese Arbeit ist längst nicht abgeschlossen und wir hoffen, dass die Website eine diverse Gemeinschaft von Künstler:innen, Wissenschaftler:innen, Forscher:innen, Kulturinstitutionen und Öffentlichkeit zu einem Dialog anregt, der unsere Überlegungen weiterbringt und künftige Projekte anregen kann.

ii. Vermessung, Modellierung, Manipulation

„Alle stabilen Prozesse werden wir vorhersagen. Alle instabilen Prozesse werden wir steuern.“ – John von Neumann

Drei überlebensgroße Projektionsleinwände und ein Supercomputer stehen in einer Galerie. Die Bilder auf den Screens zeigen hochaufgelöstes Bildmaterial aus aller Welt: die bergige Pazifikküste im kalifornischen Silicon Valley; meilenweiter, gelber Wüstensand, der sich in Dubai in den VAE in ein tiefblaues Meer öffnet; Flächen aus blau-geäderten Eiskappen in der Arktis; fleckige, grüne Soja-Raster in Rondônia, Brasilien. Die mittlere Projektionsfläche dient als eine Art Dashboard und zeigt jüngere Umweltdaten, die der Satellit Landsat 8 auf seiner Reise um die Erde erfasst hat. Der Supercomputer verwendet diese Informationen dazu, Simulationen zu den vergangenen, derzeitigen und künftigen Klimazuständen durchzuführen und zu berechnen, wie das Ökosystem neu konfiguriert werden könnte, um unbekannte menschliche und nicht-menschliche Absichten zu verwirklichen. Im Anschluss an seine Berechnungen liefert der Computer Diagnosen, wie die örtlichen ökologischen Bedingungen verbessert werden können – zum Beispiel, indem man die Küste begradigt, den Fluss verlegt oder die Stadt an einen günstigeren Standort verlegt. Links sehen wir ein Satellitenbild der Region, wie sie heute besteht. Auf der rechten Seite eine Darstellung, die durch maschinelles Lernen generiert wurde und zeigt, wie die Region aussehen könnte, wenn diese Verbesserungen durchgeführt würden. Es erscheint alles so einfach, vernünftig und klar, dass man leicht die Absurdität dieser vorgeschlagenen Modifikation der Erde übersehen könnte – ach, man soll einfach den Fluss verlegen, ja?

Asunder (2019) wurde von Tega Brain, Julian Oliver und Bengt Sjölen für die Wiener Biennale 2019 entwickelt. Diese künstlerische Arbeit kleidet sich in das Gewand wissenschaftlicher Expertise und rechnerischer Autorität und verwendet echte Klimamodelle sowie die Instrumente, Methoden und visuelle Ästhetik der Klimawissenschaft, um so Ansätze zu hinterfragen, die auf technische Lösungen zu globalen Herausforderungen setzen. Die Arbeit reagiert damit auf das zunehmende Interesse daran, künstliche Intelligenz, Computersimulationen und verschiedene technische Interventionen zur Behebung von Umweltproblemen einzusetzen. Die Künstler:innen nehmen diese Einstellung beim Wort und der so entstandene „Umweltmanager“ liefert eine fiktionalisierte Darstellung von Modifizierungen der Erde – viele davon auf fast ulkige Weise unbedacht, unpraktisch und ethisch inakzeptabel – wie sie produziert werden, wenn Ökosysteme rein rechnerisch betrachtet werden. 

Laut Marshall McLuhan wurde die Erde in dem Moment programmierbar, als 1957 mit Sputnik der erste Satellit gestartet wurde.(8)McLuhan, “At the Moment of Sputnik” as cited in Jennifer Gabrys, Program Earth: Environmental Sensing Technology and the Making of a Computational Planet (Minneapolis: University of Minnesota Press, 2016). Seitdem wanderte die Fernerkundungstechnologie von ihren militärischen Ursprüngen im Kalten Krieg hinüber in die Umweltwissenschaft und wurde zu einem wichtigen Instrument zur Erforschung des weltweiten Klimawandels. Satelliten wie Landsat 8 sind heute Schlüsseltechnologien im Umwelt-Monitoring; sie stellen Temperaturänderungen, CO2-Werte in der Atmosphäre und Entwaldungsmuster fest und identifizieren neue Ressourcen zur Gewinnung. Sie erweitern die Grenzen menschlicher Wahrnehmung und helfen uns, Planetensysteme und -strömungen zu „sehen“. Sie ermöglichen es Klimawissenschaftler:innen, den Klimawandel zu beobachten und Vorhersagen über seine wahrscheinlichen Folgen zu treffen. Die Luftaufnahmen von Asunder sind beeindruckend, aber sie rufen nicht mehr das Staunen hervor, mit dem die Menschen 1968 Weltraumbilder von „der ganzen Erde“ betrachteten. Durch die Überfülle an Satellitenbildern in Wissenschaft und Technik und ihre verbreitete Verwendung in Verbrauchertechnologien wie Google Earth haben wir uns daran gewöhnt, unseren Planeten aus dieser distanzierten, abgelösten Perspektive anzusehen – als ein Ding, das man betrachten, analysieren, optimieren und vielleicht auch umarbeiten kann.

Die Geschichte der modernen Berechnung ist eng mit dem Wunsch verknüpft, die Umwelt vorauszusagen und letztlich zu kontrollieren. Der Künstler und Autor James Bridle schreibt: „Die allerersten digitalen Rechner wurden für zwei Einsatzzwecke entwickelt: um den Detonationswert von Atombomben zu berechnen und um das Wetter vorauszusagen.“ Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs gehörte die Wettervorhersage zu den ersten und wichtigsten Anwendungen digitaler Rechner und wurde sowohl durch Militärbehörden als auch durch zivile Wetterdienste stark gefördert. John von Neumann, ein brillanter Computerwissenschaftler, der während des Kriegs am Manhattan Project gearbeitet hatte, wusste aus erster Hand, wie effektiv Berechnungsmodelle dazu genutzt werden können, reale Resultate zu prognostizieren. Nach dem Krieg entschloss von Neumann sich, diese Technik zur Vorhersage des Wetters zu nutzen. 1946 gründete er an der Princeton University das Meteorologische Institut und produzierte nur wenige Jahre später die erste Klimamodellierungssoftware und die erste numerische Wettervorhersage.

Diese Forschungsarbeit führte von Neumann zu der Hypothese dass die Kontrolle des Wetters und das noch ehrgeizigere Ziel der Klimakontrolle nicht mehr weit entfernt seien. In einem Essay von 1955 mit dem Titel „Can We Survive Technology??“ skizzierte von Neumann eine Reihe von schon existierenden sowie hypothetischen Methoden der Klimaintervention: von der Erzeugung von Regen durch das Sprühen von chemischen Stoffen in Regenwolken zur Veränderung der Erdtemperatur durch die Regulierung der Menge von Sonnenlicht, das von der Atmosphäre und der Landoberfläche absorbiert oder reflektiert wird. Das Essay liest sich beinahe wie der Bauplan zahlreicher Vorschläge und Grundprinzipien des Geoengineering von heute:

Mikroskopische Schichten farbiger Materie, die über eine Eisfläche oder die darüber liegende Atmosphäre verteilt werden, könnten den Prozess der Reflektions-Strahlung einschränken, das Eis zum Schmelzen bringen und das örtliche Klima verändern. Maßnahmen, die solche Veränderungen zur Folge hätten, sind technisch möglich und die Investitionen, die dafür benötigt werden, sind in der gleichen Größenordnung wie sie bei der Entwicklung der Eisenbahn und anderer wichtiger Industriezweige waren. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, die Auswirkungen solch drastischer Interventionen im Detail vorherzusagen. Aber unser Wissen über die Dynamik und die Kontrollprozesse in der Atmosphäre nähern sich rapide einem Niveau an, das solche Vorhersagen erlaubt. Wahrscheinlich werden Interventionen in Atmosphäre und Klima in wenigen Jahrzehnten kommen und sich auf einem Maßstab entfalten, der heute noch schwer vorstellbar ist.

Von Neumanns Beiträge zur theoretischen Meteorologie und zur globalen allgemeinen Zirkulationsmodellierung legten die Fundamente für heutige Computersimulationsmodelle und sollten zu den wichtigsten Instrumenten der Klimawissenschaft werden. Seit dieser Zeit wurde die Klimamodellierung durch neue Informationen zu Landoberfläche, Kryosphäre (Gletscher, Meereseis und Schneedecke), Hydrologie (Seen, Flüsse, Verdunstung und Niederschlag) ergänzt und annähernd vervollständigt, die alle miteinander agieren und die Klimabedingungen beeinflussen. Sämtliche Modelle sind grundsätzlich rechnerische Darstellungen physischer Prozesse und ihrem Wesen nach vereinfachte Spiegelungen der Welt, die sie beschreiben. Auch wenn umfassendere Modelle uns ein klareres Bild davon vermitteln, wie sich Umweltphänomene verhalten, gibt es außerhalb dieses verfügbaren Rahmens immer noch mehr zu berücksichtigen. Diese Art von Datensystemen und die Form von Wissen, die sie produzieren, werden oft als neutral und objektiv dargestellt, aber die Frage danach, was priorisiert, vermessen und einbezogen wird – kurz gesagt, was eigentlich zählt – ist eine  zutiefst politische Angelegenheit. In diesem Sinne setzen Klimamodelle, also die Visualisierung von Umweltdaten und Satellitenbilder der Art, wie sie in Asunder eingesetzt werden, das um, was Donna Harraway „den Gott-Trick, alles von nirgendwo zu sehen“ nennt. (9)Donna Haraway, “Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective”; Feminist Studies, Vol. 14, No. 3. (Autumn, 1988), pp. 581. Sie wirken universalisierend und im Falle von globalen Fragen wie dem Klimawandel verschleiern sie sowohl die unterschiedlichen Grade von (kommerzieller, westlicher) Schuld als auch die unterschiedlichen Auswirkungen, die als Folge der beschleunigten ökologischen Krise zu spüren sind.

Tega Brain weist darauf hin, dass Klimamodelle aus einer Weltsicht des 20. Jahrhunderts entstanden sind (und diese auch verstärken), die besagt, nach der die Umwelt etwas „umgrenztes, erfassbares und aus Bestandteilen zusammengesetzt ist, die in Kausalketten von Ursache und Wirkung operieren. Diese Rahmung orientiert sich stark an Möglichkeiten der Beeinflussung und Kontrolle und fragt implizit: In welcher Hinsicht sollte ein Ökosystem optimiert werden?“ In Asunder zeigen Brain und ihre künstlerischen Partner:innen, wie schwer diese Frage zu beantworten ist, vor allem da zahlreiche menschliche und nicht-menschliche Interessen auf dem Spiel stehen und so viele verschiedene Lebenswelten im Gleichgewicht gehalten werden. Die Künstler:innen orientieren ihr Klimamodell nicht an der Erhaltung und Ausweitung menschlicher Verbrauchs- und Produktionsweisen und priorisieren stattdessen ökologische Notwendigkeiten vor menschlichen Zielsetzungen. Diese Geste ist der Versuch, Technologien wie die künstliche Intelligenz dazu umzufunktionieren, die Interessen nicht-menschlicher Akteure zu vertreten, die keine eigene Stimme haben. Dieser Gedanke wurde in den letzten Jahren immer wieder von Designtheoretiker:innen und Praktizierenden vorgebracht. Allerdings legt Asunder nie ausdrücklich offen, wie seine Parameter gewichtet werden, welche oder wessen Interessen sie repräsentieren und wie diese Interessen definiert wurden. So bleibt auch hier die „Black Box“ der Unergründlichkeit bestehen, die solche Instrumente üblicherweise vor der öffentlichen Untersuchung und Erwägung verbirgt.

iii. Die Verstofflichung der Atmosphäre

„Wir sind wie Götter und können uns auch gleich bemühen, den Job gut zu machen.“ – Stewart Brand

Die Fähigkeit, auf dem Computerbildschirm Parameter anzupassen und zu verändern, kann suggerieren, dass man auch fähig ist, reale Umweltbedingungen zu verändern, und erweckt so den Eindruck, dass man die Welt nach Belieben rekonfigurieren kann. Die Menschen greifen spätestens seit 1946 in Witterungsverhältnisse ein, als in den USA die ersten Experimente mit Wolkenimpfungen stattfanden. Diese Forschungsinitiative, bekannt unter dem Namen „Project Cirrus“, war aus einer Studie von General Electric zur Eisbildung auf Flugzeugtragflächen entstanden, die den Piloten im Zweiten Weltkrieg mitunter Schwierigkeiten bereitete. Der Atmosphärenwissenschaftler des Projekts, Vincent Schaefer, generierte in seinem Labor Wolken, indem er in einen umfunktionierten Tiefkühlschrank atmete, und experimentierte mit unterschiedlichen Methoden und Materialien, die dazu führen sollten, dass Wolken Eiskristalle bildeten. Eines Tages fügte er eine Handvoll Trockeneis hinzu, um die Temperatur in dem Tiefkühlschrank zu senken. Zu seiner Überraschung verwandelte sich die Luft darin auf einen Schlag, bildete Millionen Eiskristalle und verursachte einen Mini-Schneesturm. Wenige Monate später bestiegen Schaefer und der GE-Testpilot Curtis Talbot ein kleines Fairchild-Flugzeug. Im Gepäck hatten sie „eine Kamera, sechs Pfund Trockeneis und den Plan, den ersten groß-angelegten Versuch zur Umwandlung einer super-gekühlten Wolke in Eiskristalle zu unternehmen.“ (10) Das Flugzeug flog über Schenectady, NY, in eine Wolke und Schaefer leerte sein Paket Trockeneis in den Luftsog aus. Als er sich umsah, sah er mit Begeisterung lange Schneebänder, die aus der Wolke herabfielen. Es war die Geburtsstunde der Wettersteuerung. 

Auch die Künstlerin und Forscherin Karolina Sobecka betrachtet Wolken – genau genommen betrachtet sie drei Wolken, die jeweils dazu beigetragen haben, unser Denken über Klima, Technologie und die menschliche Beherrschung der Natur grundlegend zu verändern. Vincent Schaefers Wolke ist eine dieser drei. In A memory, an ideal, a proposition (2017) präsentiert sie drei Glasbehälter, die mit jeweils einer Nebelmaschine verbunden sind, die langsam einen leichten Nebel in die Behälter leiten. Es bilden sich wabernde Wolken, die sich zu Nebel auflösen und schließlich ganz verschwinden. Diese künstlichen Wolken sind Nachbildungen spezifischer historischer Wolken: einer Wolke aus dem Jahr 1815 (the memory, die Erinnerung), die Wolke aus Schaefers Labor (the ideal, das Ideal) und eine hypothetische Wolke, die als Teil eines Experiments zur Steuerung des Klimas gestaltet wurde (the proposition, das Vorhaben).  Das Ziel des Projekts war es, die geologischen und gesellschaftlichen Transformationen zu untersuchen, die durch jede Wolke ermöglicht wurden. Es zeichnet die Entwicklung der Erkenntnis nach, dass die Atmosphäre stofflich ist. Sobecka achtet aufmerksam auf die chemische Zusammensetzung der Kerne jeder Wolke und versucht, diese in ihren Rekonstruktionen nachzubilden. Dazu verwendet sie zusätzlich zum Wasser, das zur Wolkenbildung benötigt wird, kleine Stücke von Vulkangestein, Schwefel oder eiskernbildende Partikel. Sie berücksichtigt zudem den größeren Kontext, in dem jede Wolke entstand, was mit ihren Partikeln vermischt und was herausgelassen wurde sowie was durch die Existenz jeder Wolke sichtbar oder unsichtbar gemacht wurde. Ihre sorgfältigen, fast schon forensischen Bemühungen bei dieser Rekonstruktion ahmen die Ästhetik wissenschaftlicher Experimente nach. Sogar die Glasbehälter erinnern an die Gefäße, die Klimatolog:innen im frühen 20. Jahrhundert bei ihren Versuchen mit wolkigen, dickflüssigen Flüssigkeiten füllten, um atmosphärische Bewegungen zu studieren und damit die Grundlagen späterer Berechnungsmodelle zu allgemeiner Zirkulation zu legen.

A memory, an ideal, a proposition (2017). Images courtesy Karolina Sobecka.

Die erste Wolke, die Sobecka wieder zusammensetzt, bildete sich am 10. April 1815 (11)note: Sobecka dates the eruption as April 5, 1816 but all the historical records in our research have indicated April 10, 1815 as the correct date. und wurde ausgelöst durch den Ausbruch des Tambora in Indonesien, das größte Vulkanereignis seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Vulkan setzte geschätzte 150 Kubikkilometer (36 Kubikmeilen) explodierten Gesteins und Asche frei, die noch bis zu 1.300 Kilometer (808 Meilen) entfernt  in Borneo, Sulawesi, auf Java und den Maluku-Inseln zu sehen waren. Mit der Asche setzte der Ausbruch zudem Millionen Tonnen Schwefel in die Stratosphäre frei, die sich über die gesamte Erdatmosphäre verbreitete und einen „dünnen Schleier“ bildete, der die Sonne 14 Monate lang verdecken sollte. Daraus entstand ein globaler Kühlungseffekt, der zu schweren Störungen des Wetters auf der ganzen Welt führte: Schnee und Frost im Sommer, verdorbene Ernten und damit Lebensmittelknappheit und Hungersnöte überall, von Nordamerika bis China. 1816 wurde so als „das Jahr ohne Sommer“ bekannt. „In Kälte und Dunst erwuchsen Verzweiflung und Leid“, erklärt Sobeckas Stimme im Begleitvideo. „Der geologische Bruch und die Neuordnung der Mineralien strukturierten Emotionen und Denkweisen.“  Tatsächlich generierte die atmosphärische Störung eine trübe Düsternis und einen unheimlichen roten Schein, den Landschaftsmaler wie Caspar David Friedrich und J.M.W. Turner festhielten und der Mary Shelly bekanntlich dazu inspirierte, ihren „Frankenstein“ zu schreiben. Im Hinblick auf das Geoengineering lieferte der anhaltende Kühlungseffekt durch den Ausbruch des Tambora Informationen, die in Geoengineering-Vorhaben der Art einflossen, die Paul Crutzen vortrug, dessen Vorschlag, Schwefelpartikel in die Stratosphäre zu injizieren, den vulkanischen Effekt künstlich nachahmt.

Victor Schaefers Experiment im GE-Labor im Sommer des Jahres 1946 ist uns bereits bekannt. Es lieferte die Vorlage für Sobeckas zweite Wolke, Cloud B (the ideal, das Ideal). Sobecka hält diese Wolke  nicht nur deshalb für bedeutsam, weil sie ein Zeitalter der Erforschung von Wettermodifikation einleitete, das einen Großteil heutiger Bestreben, das Klima zu beeinflussen, vorankündigte und die Grundlagen dafür legte. Die Wolke ist auch wegen der Art und Weise wichtig, in der sie uralte Versprechen bezüglich der Herrschaft über die Natur greifbar machte und konkretisierte. Der Historiker James Fleming erinnert uns, dass der Wunsch des Menschen, die Natur zu manipulieren oder zu steuern, schon sehr lange besteht und dass er eng mit unserer Mission verknüpft ist, in oft rauen und unwirtlichen Umweltbedingungen zu überleben. Die Erfindung von Kleidung, Feuer, Behausung, Landwirtschaft und anderen Technologien wurden allesamt entwickelt, um die Menschen vor den Elementen zu schützen, aber alle diese Interventionen blieben auf der Erde. Die Fähigkeit, den Himmel zu kontrollieren (und damit das Wetter, die Atmosphäre, das Klima) war immer unerreichbar. (12)James Fleming, Fixing the Sky: The Checkered History of Weather and Climate Control (New York: Columbia University Press, 2010), p. 19. Schaefers Wolkenexperimente schienen das zu ändern und vermittelten den Eindruck, dass bisher undurchsichtige atmosphärische Prozesse nun erfassbar und beherrschbar geworden waren. Im begrenzten System des Labors wurden die Komplexität der irdischen Klimasysteme und die interagierenden Lebenswelten, die sie produzieren, reduziert, um sie lesbar, transparent und gefügig zu machen. Allerdings, so Sobecka, fehlten im Gegensatz zur Vulkanwolke des Tambora „in diesen Modellen jede Spur der komplizierten Beziehungen zwischen der Bodenoberfläche, den riesigen Wäldern, den Tieren und den Bakterien.“ Kurz gesagt: In den Modellen fehlte der Rest der Welt.

Die dritte und letzte Wolke in Sobeckas Triptychon ist eine hypothetische Wolke, die sich im Frühling 2018 acht Meilen über der Erdoberfläche in Arizona bilden sollte. Sie gehörte zum Stratospheric Controlled Perturbation Experiment (SCoPEx), einem Forschungsprojekt, das das Solar Geoengineering Research Program der Harvard University angestoßen hatte. Das SCoPEx-Projekt wäre einer der ersten Freilandversuche zur stratosphärischen Aerosolinjektion (Stratospheric Aerosol Injection, SAI) gewesen – einem Prozess, der mit dem Ziel, „die Sonne abzublenden“, chemische Partikel in die Stratosphäre sprüht. In Feldversuchen sollten zunächst kleine Mengen von Calciumcarbonat (also praktisch Kreidestaub) und danach Sulfate freigesetzt werden, um zu sehen, wie die Partikel mit der Atmosphäre interagieren. 

Die Daten werden zur Verbesserung von Computermodellen und Simulationen im Labor verwendet und bereiten damit den Weg für ehrgeizigere Experimente in der Zukunft. Heutige Simulationen legen nahe, das SAI „voraussichtlich signifikant negative Auswirkungen für und Veränderungen von Wetter- und Monsunmustern produzieren wird“, die vulnerable Bevölkerungsgruppen im globalen Süden unverhältnismäßig hart treffen würden. Wegen dieser Risiken und der Tatsache, dass SAI nach dem Start über Jahre hinweg aufrechterhalten werden müsste (ein plötzliches Einstellen würde zu einem „Beendigungsschock“ führen, einem rasanten Ansteigen der Temperaturen mit katastrophalen Auswirkungen), glauben viele, dass es gefährlich ist, die SAI-Forschung zu befürworten, weil dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das Verfahren irgendwann angewandt wird. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, Feldversuche in Arizona und New Mexico durchzuführen, wurde das Projekt schließlich 2020 nach Schweden verlegt und sollte im Juni 2021 durchgeführt werden. Öffentliche Proteste von Umweltgruppen und der indigenen Sami-Volksgruppe haben zu einer weiteren Verschiebung geführt; unverbindliche Pläne gehen nun vom Jahr 2022 aus.

In A memory, an ideal, a proposition vollzieht Sobecka nach, wie verschiedene Atmosphären unterschiedliche Formen von Wissen und Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit produziert haben. Letztlich ist Sobeckas Projekt ein Beispiel von vergleichender Wolkenforschung, bei dem jede Wolke nicht nur eine bestimmte geochemische Verdichtung darstellt, sondern auch spezifische gesellschaftliche, ökologische und technologische Beziehungen. Indem sie den chemischen Verbindungen der drei Wolken so viel Aufmerksamkeit widmet, unterstreicht Sobecka ein gerade entstehendes Verständnis von der Atmosphäre als stofflich, als Materie, die geformt, modifiziert, neu dargelegt und wiederhergestellt werden kann. Durch die Rekonstituierung der drei Wolken zeichnet das Kunstwerk neue, materielle Konfigurationen des Klimas nach, sowie neue Möglichkeiten, synthetische Atmosphären zu produzieren. „Wolken sind nur aus der Ferne gesehen von fester Beschaffenheit“, sagt uns Sobecka im Video. „Aus der Nähe ist eine Wolke ein Abdruck irdischer Aktivität, ein Provisorium der Gegenwart, ein einzigartiges chemisches und mineralisches Arrangement, das die unter ihr liegende Anordnung von Materie und Energie reflektiert.“ Und doch zeigt Sobecka auf, wie durch Geoengineering versucht wird, in diese Manifestation der Beziehung zwischen Erde und Himmel einzugreifen und die Materie nach dem Wunsch des Menschen umzuorganisieren.

 iv. Rohstoff aus dem Himmel

“Nichts geht verloren, nichts wird geschaffen, alles wird umgewandelt.“ – Lavoisier-Gesetz

Im Zeitalter des Anthropozän beschäftigen wir uns zunehmend mit der molekularen Beschaffenheit der Atmosphäre. Treibhausgasemissionen, und vor allem CO2, sind zu Schlüsselmaßeinheiten der Verfolgung und Regulierung unseres Fortschritts (oder dessen Ausbleibens) bei den Bemühungen geworden, Emissionen zu begrenzen und die drohende Umweltkatastrophe abzumildern. Spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts wissen wir, dass eine hohe CO2-Konzentration Wärme einschließt. Schon 1824 stellte der französische Physiker Joseph Fourier die Hypothese auf, dass die Erdatmosphäre weitaus höhere Oberflächentemperaturen aufweist, als angesichts der Größe unseres Planeten und seiner Entfernung von der Sonne zu erwarten wären. Fourier stellte fest, dass die Atmosphäre die Hitze nicht einfach in den Weltraum zurückstrahlt, sondern eher wie eine Glasabdeckung auf einer Kiste wirkt, Hitze festhält und so die Erde erwärmt. Er verwendete den Begriff serre, französisch für ‚Treibhaus‘, um diesen Effekt zu beschreiben. Im Jahr 1938 gelang es dem britischen Dampf- und Wehringenieur Guy Stewart Callendar, anhand von Wetterdaten aus aller Welt eine Erwärmungstendenz von 0,5°C (0,9°F) in den Jahren von 1900 bis 1935 aufzuzeigen. Callendar brachte diese Erwärmungstendenz mit der steigenden Konzentration von CO2 in der Atmosphäre in Verbindung, die von ungefähr 295,8 Teilen pro Million im Jahr 1900 auf 309,4 Teile pro Million angestiegen war. Dieser Anstieg entsprach der rasanten Industrialisierung und der zunehmenden Verbrennung von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen. Damit demonstrierte Callendar als Erster, wie sich das Klima als Resultat menschlicher Handlungen änderte.

Im vergangenen Jahr beobachteten Wissenschaftler:innen einen neuen CO2-Höchstwert von 417 Teilen pro Million in der Atmosphäre. Zuletzt war vor drei Millionen Jahren so viel CO2 in der Erdatmosphäre gewesen, als der Mensch noch gar nicht auf dem Planeten existierte. In Le Poids des Ombres [Weight of Shadows] (2021), untersucht der Künstler Julian Charrière frühere Verfassungen der Atmosphäre und ihrer zusammengefallen Zeitlichkeiten. Er stellt dabei die Rolle der Menschen bei diesen Komplexen in den Mittelpunkt, die so riesig sind, dass sie sich unserer Auffassungsgabe entziehen. Das Projekt ist als immersive Installation gestaltet, die Zusammenhänge zwischen dem Kohlenstoffzyklus in seinen verschiedenen Formen und der Beziehung zwischen CO2 und unserer derzeitigen ökologischen Krise untersucht. Fünf Ölquellenbohrköpfe stehen im Raum wie antike Säulen, die den bröckelnden Tempel der Moderne aufrechthalten. Ihre verrostete Gestalt wird von einem spiegelähnlichen schwarzen Boden reflektiert, der aus polierter Kohle hergestellt wurde. So werden Erde und Himmel in einer Geste umgekehrt, die daran erinnert, wie Kohlenstoff, der tief unter der Erde vergraben liegt, durch die Verbrennung fossiler Stoffe an einen anderen Ort gelangt. Ausgegrabene fossile Überreste uralter Lebensformen – Pflanzen und Tiere, die vor über 300 Millionen Jahren auf unserem Planeten lebten – bevölkern nun die Luft, geistern in unserer Gegenwart umher und verhindern jede Möglichkeit einer Zukunft.

Julian Charrière, Weight of Shadows, 2021, Installation Views / Prix Marcel Duchamp 2021, Centre Pompidou, Paris, France, 2021, Copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany, Photo by Jens Ziehe.

Im Zentrum der Installation steht das Video Pure Waste (2021) in dem eine Hand, Diamanten in einen brunnenähnlichen Eisschacht wirft, eine sogenannte Gletschermühle, die das Schmelzwasser von der Oberfläche des Gletschers in seine Tiefen befördert. Das Video wurde in Grönland gedreht und fasst Gedanken zusammen, die Charrière seit zehn Jahren mit seiner Arbeit in Form von zahlreichen Kunstwerken und Expeditionen zu Eisfeldern in der Antarktis, Grönland, der Arktis, Island und seiner Heimat, den Schweizer Alpen verfolgt. Charrière betrachtet die Eiskappen als wichtige Quellen „himmlischer Erinnerungen“, weil sie die einzigartigen geochemischen Zusammensetzungen verschiedener Epochen der Atmosphäre bewahren. Winzige Luftbläschen im Eis geben Klimaforscher:innen Zugang zu einem Datenarchiv darüber, wie die Treibhausgaskonzentration sich im Laufe der Zeit verändert hat. Das Eis schmilzt, und damit auch diese wichtige Wissensquelle über die Vergangenheit und die mögliche Zukunft der Erde. Das Geräusch des schmelzendes Eises durchklingt die Installation mit kleinen Tröpfchen und leisem Knallen – jedes davon ein gefrorenes Bläschen, das eine jahrtausendealte Zeitkapsel freigibt.  

Die Diamanten, die Charrière in den Rachen des Gletschers wirft, sind keine üblichen Diamanten – sie wurden aus CO2 geschaffen, das der Künstler aus der Luft um die polaren Eiskappen gewann. Mithilfe eines Verfahrens namens Kohlenstoffbindung gelang es Charrière, CO2 aus der Luft zu gewinnen und damit den Gewinnungsprozess umzukehren und „Rohstoffe aus dem Himmel“ zugewinnen, statt aus der Erde. Das so gewonnene CO2 wurde zunächst mit CO2 vermischt, das der Ausatmung tausender Menschen überall in der Welt entnommen wurde, und dann in die reinste, härteste und wertvollste Form des Kohlenstoffs verwandelt, die wir kennen: zu Diamanten. Techniken wie die Kohlenstoffgewinnung werden langsam auch von politischen Entscheidungsträgern und Organisationen wie dem IPCC akzeptiert. Letzterer stellte jüngst fest, dass wir zusätzlich zur aggressiven Emissionsreduzierung künftig auch Strategien zur Entfernung des CO2 aus der Atmosphäre verfolgen müssen. Derzeit sind die CO2-Konzentrationen so hoch, dass wir die weitere Erderwärmung möglicherweise auch dann nicht verhindern könnten, wenn wir schon morgen weltweit alle Emissionen durch fossile Brennstoffe einstellen würden. Wissenschaftler:innen bedienen sich hier häufig der Analogie einer Badewanne: Um ein Überlaufen zu verhindern reicht es nicht aus, weniger Wasser in die Badewanne einlaufen zu lassen, sondern man muss auch aktiv Wasser ablassen. (13)Holly Jean Buck, After Geoengineering: Climate Tragedy, Repair, and Restoration (London: Verso Press, 2019), p. 25. Das Verfahren der Kohlenstoffbindung oder -abscheidung verstärkt den Abfluss, indem es mithilfe von Industriemaschinen CO2 aus der Luft filtert. Dieser Prozess geschieht üblicherweise in Kraft- oder Chemiewerken, wo das CO2 abgefangen und entfernt werden kann, bevor es durch den Schornstein in die Luft gelangt. CO2 direkt aus der Außenluft zu entfernen ist ebenfalls möglich, aber bedeutend schwieriger, energieintensiver und kostspielig, weil das CO2 dort weitaus weniger konzentriert auftritt. Das so gewonnene CO2 wird in der Regel in eine flüssigkeitsähnliche Substanz umgewandelt und tief in die Erde injiziert, häufig in aufgelassene Öl- und Gasreservoirs. So entsteht eine Art „geschlossener Kreis“, in dem Kohlenstoff, der als fossiler Brennstoff abgebaut wurde, als CO2 in die Erde zurückkehrt. 

Heutzutage werden durch die Kohlenstoffabscheidung jedes Jahr mehr als 30 Tonnen CO2 entfernt, das entspricht ungefähr den Emissionen von 6,5 Millionen Personenfahrzeugen. Zum Vergleich: Weltweit werden ca. 43 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr ausgestoßen. Um tatsächlich eine merkliche Reduktion des CO2 zu erreichen, das seit 200 Jahren in der Biosphäre gespeichert wird, müsste sich die Kohlenstoffentfernung zu einer riesigen Industrie entwickeln – also von einer ähnlichen Größe wie der derzeitige Sektor der fossilen Brennstoffe, nur, dass die Moleküle in die entgegengesetzte Richtung fließen. Die Umweltsoziologin Holly Jean Buck beschreibt die Kohlenstoffentfernung als „analog zur Abfallvermeidung“: sie ist ein riesiger Wirtschaftszweig, aber weder sexy, noch transformativ noch besonders lukrativ. (14)Holly Jean Buck, After Geoengineering: Climate Tragedy, Repair, and Restoration (London: Verso Press, 2019), p. 32. In einem kapitalistischen System, das sich an der Weisheit des Markts und an steigenden Bruttoinlandsprodukten orientiert und in dem ohne finanziellen Anreiz nicht viel geschieht, ist das ein Problem. Dementsprechend gibt es große Bemühungen, Kohlenstoff durch Mechanismen wie CO2-Steuern, Emissionsausgleiche und Gutscheine auf der Blockchain und andere Initiativen zu einem Finanzinstrument zu machen. Dadurch würde das abgesonderte CO2 zu einer wertvollen Handelsware, die gekauft und verkauft und mit der spekuliert werden könnte. Zugleich gibt es Versuche, gebundenen Kohlenstoff zu einem brauchbaren und wertvollen Rohmaterial zu machen. Heutzutage stellt ein boomender Start-Up-Sektor ein breites Spektrum an Produkten aus gebundenem CO2 her: Beton und Zement, Tinten und Farben, Schaumstoffmatratzen, Kunststoffe, Biobrennstoffe, Haushaltsprodukte wie Bleiche und Frostschutzmittel, sogar Wodka. Und Diamanten, wie die von Charrière geschaffenen.

Kohlenstoff kommt also in allerlei Gestalten daher, aber Gramm für Gramm genommen sind Diamanten die bei weitem am wertvollste. Diamanten sind zudem die härteste Form von  Kohlenstoff und können bekanntlich alles schneiden, weshalb sie oft bei Ölbohrungen verwendet werden. In Charrières Installation ist auch ein glänzender, neuer Ölbohrkopf zu finden, an dem einer der CO2-Diamanten des Künstlers angebracht ist. Er hängt kopfüber, mit der Spitze nach unten zeigend, von der Decke herab und droht beinahe, alle aufzuspießen, die ihm zu nahe kommen. Die Skulptur spielt anscheinend auf die ziemlich symbiotische Beziehung zwischen dem Sektor der Kohlenstoffbindung und der Fossilbrennstoffindustrie an. In den letzten Jahren haben die Ölkonzerne die meisten Patente zur Kohlenstoffabscheidung erhalten und führen die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich an, oft unterstützt durch großzügige Regierungssubventionen.


Tatsächlich wird beinahe der gesamte gebundene Kohlenstoff bisher dazu verwendet, mit einem Verfahren namens „Enhanced Oil Recovery (erhöhte Ölausbeute)“ noch mehr Öl aus dem Boden zu pressen. Es bleibt jedoch die Hoffnung, dass die Kohlenstoffbindung größere Maßstäbe erreicht und dann genügend CO2 dauerhaft in der Erde gespeichert wird, um neue Emissionen auszugleichen und damit „netto-null“ oder sogar „netto-negative“ Emissionen zu erreichen. Allerdings ist dies noch nicht annähernd in die Nähe der Realität gerückt. Zum einen wäre diese Art von Ausgleich wiederum auf erneuerbare Energien angewiesen, da die Kohlenstoffbindung zwischen 30 und 50 Prozent der Energieleistung eines üblichen Kraftwerks konsumieren kann. Zum anderen ist der Aufbau der benötigten Infrastruktur kostspielig; Schätzungen gehen von einer Billion US-Dollar über die nächsten 30 Jahre aus. Manche glauben, dass die erhöhte Ölausbeute hier ein notwendiges Übel ist, da die Technologien zur CO2-Entfernung nur dann fortentwickelt und ausgereift werden, wenn die Ölindustrie als Early Adopters ihre Kosten senkt, um sie langfristig bezahlbar zu machen. Kritiker:innen befürchten jedoch, dass Technologien wie die Kohlenstoffbindung nur dazu dienen, dass die Ölkonzerne weiterhin ihre Emissionsziele überschreiten können und die Aufmerksamkeit von dem eigentlich wichtigen Thema abziehen, nämlich dass die brennbaren Treibstoffe in der Erde bleiben sollen.

Am Ende seines Videos Pure Waste wirft Charrière seine CO2-Diamanten in den Abgrund des Gletschers, als „Geste der Aussöhnung“, wie er sagt. Indem er die Edelsteine aus dem Bereich eines produktiven Werts entfernt, möchte er den Kreislauf der Rohstoffnutzung und -gewinnung brechen. Allerdings könnte diese Geste auch dazu dienen, die Behauptung von „geschlossenen Kreisläufen“ oder „grüner“ Rohstoffgewinnung zu wiederholen und sie glaubhaft machen. Das Versprechen, letztlich alles wiederherzustellen, würde es der Treibstoffindustrie erlauben, einfach wie gehabt weiterzumachen. Charrière verwandelt gebundenes CO2 in Diamanten, ein Sinnbild von Luxus, Status, Reichtum und Macht. Damit verleiht er Technologien wie der Kohlenstoffbindung einen Hauch von Alchemie und Zauberei und bekräftigt Vorstellungen der Herrschaft des Menschen über die Natur. Die Installation betont die Rolle der Fossilbrennstoffindustrie, von Wissenschaft, Technologie und einem anonymen menschlichen Kollektiv bei der Umorganisation der molekularen Verteilung zwischen Erde und Himmel.  Zudem zeigt sie am Beispiel der Schmelzung des Eisarchivs, wie dieser Eingriff Raum und Zeit  übereinander faltet. Aber was fehlt in dieser vereinfachten Betrachtung des Kreislaufs von Kohlenstoff durch geologische, biosphärische, industrielle und menschliche Komplexe?

v. Die Behebung des Riss im Stoffwechsel

„… Ein Fokus auf die Fürsorge richtet unsere Aufmerksamkeit auf alternative, lebbare Relationalitäten und trägt hoffentlich zu anderen, möglichen, im Entstehen begriffenen Welten bei …“ – Maria Puig de la Bellacasa 

Beim Betreten von Asad Razas Installation Absorption (2019/2020/2021) fällt den Besucher:innen als erstes ihr überwältigender Geruch auf – erdig, reichhaltig und verführerisch, ein Aroma von Kakaobohnen. Die weiche Erde gibt unter den Füßen nach; sie ist frisch gewendet, wirkt fast wie ein Polster und erstreckt sich von einer Ecke jedes Raums in die andere. 200 Tonnen wurden mehrere Zentimeter hoch über den Fußböden des Allbauhauses am Essener Pferdemarkt verteilt. Passant:innen haben durch große Fenster Einblick in die merkwürdigen Vorgänge, während die sogenannten „Cultivators“ die Erde täglich pflegen, sorgfältig wässern, harken, umgraben, Nährstoffe und Kompost hinzufügen und ihre PH-Werte überprüfen. Die “Cultivators”, die man an ihren Schaufeln und grauen, reflektierenden Westen erkennt, sind Menschen aus der lokalen Bevölkerung – Künstler:innen, Student:innen, Rentner:innen, Wissenschaftler:innen – und wurden von Raza für dieses „öffentliche Ritual“ der Bodenpflege ausgewählt. Die Erde ist eine Mischung aus Sand, Ton und Kompost aus lokaler Produktion sowie Materialien, die regional gesammelt wurden: Koks aus der örtlichen Kokerei Hansa, Klärschlamm, Haar aus örtlichen Friseursalons, geschreddertes Papier aus dem Folkwang Museum sowie Vogelkot. Während sie die Erde pflegen, kümmern sich die „Cultivators“ zudem um die Besucher:innen: Sie beantworten Fragen, erklären, was sie tun und bieten kleine Jutebeutel an, damit die Menschen etwas von der Erde für ihre Blumenkästen, Beete und Schrebergärten mit nach Hause nehmen können. Die Erde in Nordrhein-Westfalen wurde durch über 150 Jahre Bergbau und Industrie verwüstet. Sie wurde umgegraben, ihrer Mineralien beraubt und als Abladeplatz für Abfälle missbraucht. In Absorption beschäftigt Raza sich mit den Stoffwechselprozessen der Erde und versucht, sie durch Zugabe von verschiedenen organischen und anorganischen Stoffen wieder fruchtbar zu machen und so eine „anthropozäne Erde“ herzustellen, eine Art von „Erde, die nur durch menschliches Eingreifen geschaffen werden kann.“ Diese „Neosoil (Neoerde)“, wie er sie nennt, wird in der lokalen Gemeinschaft verteilt und dem Botanischen Garten der Ruhr-Universität Bochum gestiftet.

Asad Raza Absorption, 2019/2020/2021, The Clothing Store, Carriageworks, Sydney, 3 – 19 May 2019 © Asad Raza. Photo: Pedro Greig.

Bei regenerativen Praktiken, wie Raza sie in Absorption betreibt, sollen beschädigte ökologische Landschaften wiederhergestellt werden, indem aktiv die Bodengesundheit und Nährstoffdichte verbessert und für besseres Gedeihen gesorgt wird. Bodensanierung gehört eigentlich nicht zum Geoengineering, wird aber neben anderen natürlichen und technischen Methoden der Kohlenstoffdioxidentfernung diskutiert. Die natürlichen Systeme der Erde zur Entfernung des Kohlenstoffs aus der Atmosphäre, die unter dem Begriff Karbonkreislauf zusammengefasst werden, entziehen der Luft das CO2 und speichern es in Form von Bäumen, Gräsern, Feuchtgebieten und sonstiger Biomasse. Auch die Meere absorbieren tonnenweise Kohlenstoff, sowohl im Wasser als auch durch fotosynthetische Organismen wie Algen und Seetang. Holly Jean Buck stellt fest: „Böden sind riesige Kohlenstoffspeicher: Sie fassen dreimal so viel CO2, wie sich derzeit in der Atmosphäre befindet, oder fast viermal so viel wie die lebendige Materie. Allerdings haben Landwirtschaft und Flächenumnutzung über die letzten 10.000 Jahre das in der Erde gespeicherte CO2 weltweit um 840 Gigatonnen reduziert und viele bebaute Böden haben 50 bis 70 Prozent ihres ursprünglichen organischen Kohlenstoffs verloren.“ Regenerative, naturgestützte Methoden zur Kohlenstoffabscheidung, wie zum Beispiel Bodensanierung, reflektieren eine Beziehung zur Umwelt, die üblicherweise bei indigenen Gemeinschaften anzutreffen ist, eine Beziehung, die auf einer ganzheitlichen Verantwortung für das Land und einem verwandtschaftlichen Verhältnis mit den nicht-menschlichen Lebensformen basiert, die uns dabei helfen, die ökologischen Bedingungen zu bewahren, die für menschliches Überleben notwendig sind. Es ist kein Zufall, dass sich dort, wo indigene Communities auch heute noch traditionelle Methoden des Landmanagements praktizieren, Schutzgebiete für 80 Prozent der auf der Erde verbleibenden Artenvielfalt befinden.

Natürliche Kohlenstoffabscheidung ist wichtig, aber kein Allheilmittel. Landwirtschaftliche Verfahren zu ändern und die Bodengesundheit zu verbessern, mehr Bäume zu pflanzen und Wälder und Feuchtgebiete zu schützen sind zentrale Minderungsstrategien und deutlich weniger riskant, als Chemikalien in den Himmel zu sprühen, sie sind aber auch potentiell weniger stabil als industrielle Formen der Kohlenstoffbindung und -speicherung. Vor allem junge Wälder sind anfällig für Wildfeuer und ihr gesamter gespeicherter Kohlenstoff könnte in einem einzigen Augenblick in Rauch aufgehen – ein Risiko, dass durch den Klimawandel nur noch verstärkt wird. 2021 stellten Wissenschaftler:innen fest, dass der Regenwald des Amazonasgebiets, die „Lunge der Erde“, nunmehr eine Milliarde Tonnen mehr CO2 ausstößt, als er bindet. Die Ursache hierfür sind Brände, von denen viele nicht nur durch heißere Temperaturen und Dürren verursacht werden, sondern absichtlich von Menschen gelegt werden, um das Land für die Produktion von Rindfleisch und Soja zu roden. Daran lassen sich einige der Spannungen aufzeigen, die auftreten, wenn land- und wasserintensive natürliche Strategien der Kohlenstoffabscheidung in Konflikt mit den örtlichen sozioökonomischen Bedingungen geraten. Um klimarelevante Mengen CO2 zu binden, müssten naturbasierte Lösungen in einer Größenordnung eingesetzt werden, die im Kern einem globalen Terrraforming-Projekt gleichkommen würde, das wiederum in einen Wettstreit um Landnutzung mit der lokalen Nahrungsmittelproduktion und Artenvielfalt treten müsste. Deshalb müssen heutige Kampagnen zur Baumpflanzung, wie sie üblicherweise von reichen westlichen Ländern und NGOs finanziert und im globalen Süden umgesetzt werden, unter Beteiligung der Communities vor Ort verwaltet werden. Ansonsten riskieren sie, eine neue Art von Neokolonialismus darzustellen, wie es der Politikphilosoph Olúfemi Táíwò nennt. Das soll heißen, dass regenerative, ökosystembasierte Ansätze zwar ein absolut grundlegender Teil der Lösung sind – und es gibt sehr viel zu tun, um den Schaden zu beheben, der durch jahrhundertelange, zerstörerische, koloniale Landbebauungspraktiken verursacht wurde -, dass naturgestützte Lösungen aber ebenfalls kompliziert sind und alleine nicht ausreichen, um Kohlenstoffentfernung in der notwendigen Größenordnung und dem gegebenen zeitlichen Rahmen zu erreichen.

Razas Konzentration auf die Stoffwechselvorgänge in der Erde unterstreicht eine weitere wichtige Dimension der Umweltkrise sowie die Notwendigkeit, vorgeschlagene Reaktionen innerhalb eines weitergefassten sozioökonomischen Kontexts zu bewerten. „Stoffwechsel“ bezieht sich hier nicht nur auf den Fluss von Energie und Molekülen in der Biosphäre sondern auch auf die „metabolischen Beziehungen“ zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Biosystemen, in denen Stoffe und Energie, die aus der Natur gewonnen wurden, menschliche Zyklen von Transformation, Verbrauch und Abfallproduktion durchlaufen.

Raza weist auf diese Beziehung hin, indem er etwas produziert, das er „anthropozäne Erde“ nennt, die sowohl organische Stoffe mit wichtigen Bodennährstoffen integriert, wie zum Beispiel Vogelkot, als auch Abfallprodukte der modernen Zivilisation, wie Klärschlamm. Erdboden ist schon seit langem anthropogen, vor allem seit Bemühungen, die Produktivität der Böden zu steigern und höhere Ernteerträge zu erwirtschaften seit den 1840er-Jahren die Agrarpraktiken transformierten und so die moderne Düngerindustrie entstand. Aber schon im 19. Jahrhundert formulierte Marx seine Theorie eines Risses im Stoffwechsel, der auftritt, wenn die Bedingungen kapitalistischer Produktion zur Entfremdung der menschlichen Gesellschaft von ihrer Umgebung führen. (15)Foster, John Bellamy. "'Marx's Theory of Metabolic Rift: Classical Foundations for Environmental Sociology'". The American Journal of Sociology (1999). p. 379 Kapitalistische Produktion und wirtschaftliches Wachstum stellen Ressourcengewinnung, Transformation und Verbrauch in den Mittelpunkt. Fragen der Abfallproduktion und Abfallversorgung werden in der Regel als „Externalitäten“ betrachtet, als Problem der anderen. Dieser Umstand ermöglichte, was der Designkurator Justin McGirk als „Kultur des Abfalls“ bezeichnet, wonach Abfall zum „definierenden Material unserer Zeit“ wurde. Schätzungen besagen, dass von Menschen produzierter Abfall heute eine größere Masse besitzt als alle Land- und Meerestiere zusammen. Raza gliedert in Absorption den Abfall ein und behandelt ihn nicht als etwas, das in ferne Müllhalden verschifft oder sorglos in die Atmosphäre geschleudert werden, sondern als etwas, das in regenerative Rituale integriert werden muss.

Absorption versucht, neue Arten von Beziehungen zwischen der menschlichen und nicht-menschlichen Welt zu gestalten. Wenn auch die Methoden von uralten und traditionellen Praktiken inspiriert wurden, beruhen die Techniken der Arbeit doch auf heutigen Bodenwissenschaften. Sie leugnet weder die Verantwortung noch schafft sie eine moralische Trennung zwischen natürlichen Stoffen und industriellem Abfall. Vielmehr ermöglicht sie eine intime, affine, materiell verbindliche Begegnung, durch die ein Prozess der Sanierung angestoßen wird, der Komplexität kultviert und gleichzeitig unsere Wahrnehmung der Landschaft ändern soll: nicht länger als etwas, dem Ressourcen entnommen und das zur Ware gemacht wird, sondern als etwas lebendiges, etwas, das „Welten enthält und das Medium bildet, aus dem unsere Welt erwächst.“ 


Mit diesem Projekt werden dynamische Prozesse in Bewegung gesetzt, die dadurch nach außen in die lokale Gemeinschaft ausstrahlen, dass die „Neosoil“ in die Landschaft gelangt und neues Leben gebiert. Es ist nicht das Ziel, ein fertiges Objekt herzustellen, sondern „eine Substanz mit einem ‚Lebens-Koeffizienten‘: der Fähigkeit, metabolisches Wachstum zu fördern.“ Absorption will die Wichtigkeit des Erdbodens bekräftigen und ihn mit den vielen verschiedenen Lebenswelten, die er unterstützt in die zeitgenössische kulturelle Vorstellungskraft einbringen, und zwar auf eine Art und Weise, die die Komplexität von Böden offenbar werden lässt, anstatt zu versuchen, sie zu reduzieren. Aber vor allem hilft uns Absorption dabei, Strategien dafür zu entwerfen, wie wir uns und vor allem unsere Abfallprodukte wieder in unser Verständnis von metabolischen Beziehungen absorbieren können.

vi. Fazit

„Kohle ist tragbares Klima“ – Ralph Waldo Emerson 

Das Land Nordrhein-Westfalen schien sowohl wegen seiner historischen Verbundenheit mit dem Bergbau als auch durch seinen Fokus auf technologische Innovation ein reiches Terrain für diese Recherche über technologische Lösungsansätze zum Klimawandel. Wir verbrachten vier Wochen in der Region und machten uns mit ihrem Erbe als früherem „Land von Kohle und Stahl“ ebenso vertraut wie mit den strukturellen Transformationsprozessen, die dort seit 40 Jahren stattfinden und noch heute andauern. Zollverein, wo unsere Residenz stattfand, ist ein perfektes Beispiel für diese Transformation. Nachdem die  Zeche 135 Jahre lang eine der produktivsten in Europa gewesen war, stellte Zollverein seinen Bergbaubetrieb 1986 ein und wurde 2001 zum UNESCO-Welterbe erklärt. Heute beherbergt sie zwei Museen, ein Zentrum für darstellende Künste, verschiedene Restaurants und öffentliche Freizeitanlagen und hofft, mit dem Festival NEW NOW eine wichtige Heimat für digitale Künste in der Region zu werden. Mit einem Fuß in der Vergangenheit wendet sie sich der Zukunft zu und bedient sich der Vorstellungskraft von Kunst und Kultur, um Ideen statt Kohle zu Tage zu fördern.

Ein Konzept, das uns bei unseren Feldforschungen besonders interessiert und berührt hat, ist das der “Ewigkeitslasten” oder “Ewigkeitsaufgaben“. Diese Formulierungen spielen darauf an, dass die Bewältigung der Auswirkungen des Bergbaus ein endloser Prozess ist. Im Falle der Zeit nach dem Bergbau konzentrieren sich diese ewigen Verpflichtungen auf die Drainage des Minenwassers. Wenn dieses nicht behandelt und gesteuert wird, droht es lokale Wasserspeicher zu verschmutzen und Gebiete zu überfluten, die auf Grund der Bergbaufolgen bereits bis zu 25 m abgesunken sind. Diese Faktoren drohen, Nordrhein-Westfalen, eines der bevölkerungsreichsten Bundesländer Deutschlands, in eine einzige große Seenlandschaft zu verwandeln. Seit 2007, als die deutsche Bundesregierung den Ausstieg aus der Kohleproduktion entschied, liegt die Verantwortung für die Ewigkeitsaufgaben bei der RAG-Stiftung, dem nicht-kommerziellen Arm dessen, was früher Deutschlands größter Bergbaukonzern war. Die Stiftung gibt jedes Jahr um die 200 Millionen Euro zur Bewältigung dieser ewigen Aufgaben aus und hat sich dazu verpflichtet, dies auf unbestimmte Zeit zu tun.

Konzept und Praxis der Ewigkeitsaufgaben sind noch neu und schlecht definiert; sogar die Bezeichnung steht noch nicht offiziell fest: „Ewigkeitslasten“ und „Ewigkeitsaufgaben“ werden häufig austauschbar benutzt. Aber die Idee ließ uns aufhorchen, weil damit die von der Industrie verursachten ökologischen Schäden anerkannt und Verantwortung dafür übernommen wird, ebenso wie für die unabänderlichen Veränderungen an Landschaften und Ökosystemen und die dauerhaften und oft negativen Auswirkungen auf das menschliche und nicht-menschliche Leben dieser Umgebung. Diese Folgen hat es schon immer gegeben, aber bis vor kurzem hatten sich Akteure aus Industrie und Wirtschaft nicht dazu bekannt. In den meisten Teilen der Welt tun sie das auch heute noch nicht, und langfristige Verpflichtungen zur Instandhaltung sind extrem selten. Aus unserer Sicht zeigt das Konzept der Ewigkeitsaufgaben einen möglichen Weg auf, unsere Beziehung zur Umwelt neu zu rahmen und auszurichten – weg von Konzepten der Herrschaft und Kontrolle und hin zu Fürsorge, verantwortungsvoller Behandlung und Langzeitunterhalt. Der zeitliche Horizont der Ewigkeit scheint für das Nachdenken und Handeln über geologische Zeiträume passender als Quartals- oder Jahresbenchmarks. Vielleicht kann dieses Gefühl der Verpflichtung oder Verantwortung gegenüber der Umwelt zu ethisch besseren Beziehungen zwischen menschlichen und mehr-als-menschlichen Gemeinschaften führen? Eine solche Entwicklung würde erfordern, dass Instandhaltung, Fürsorge und die Behebung von Schäden wertgeschätzt und in sie investiert würde, anstatt einfach nach immer komplexeren technischen Lösungen für technische Probleme zu greifen.

Die Klimakrise aus der Perspektive von Fürsorge und Schadensbehebung (und Entschädigung) zu betrachten, steht in scharfem Kontrast zu den heroischen Visionen von Herrschaft, Erfindung, Risikofreude und dem unerbittlichen Jagen nach Fortschritt und Zukünftigkeit, die Ansätze wie den des Geoengineering befeuern. Sie bieten einen völlig anderen Rahmen für Überlegungen zum Problem des Klimawandels, dazu, wie wir damit in Verbindung stehen und was zu tun ist. Regenerative Landbewirtschaftung und ökosystembasierte Strategien zur Kohlenstoffentfernung allein mögen vielleicht nicht ausreichen, um dem Ausmaß und der Rasanz der Klimakrise zu begegnen, vor allem wenn die Emissionen nicht sofort drastisch reduziert werden, aber sie bieten uns eine Gelegenheit, unsere Beziehung zur Umwelt neu auszurichten. Diese Beziehung wiederherzustellen ist für jede Form der absichtsvollen Klimaintervention – egal ob naturbasiert oder technologisch – von zentraler Bedeutung, vor allem, wenn diese Maßnahmen nach den Prinzipien der Umweltgerechtigkeit durchgeführt werden sollen. Letztlich sind vielleicht die Modelle, anhand derer wir die Welt und unseren Platz darin verstehen das Wichtigste überhaupt, denn wie wir die Welt verstehen beeinflusst die Art und Weise, wie wir für sie Sorge tragen.